Jüdisches Leben vor 1933
Jüdische Menschen siedelten sich seit dem Mittelalter in der Region um Görlitz an. Seit jeher wurden ihnen nicht die gleichen Rechte zugesprochen wie anderen Bürgern, wurden sie doch für den Tod von Jesus Christus am Kreuz verantwortlich gemacht. So mussten sie Berufe ausüben, die in damaliger Zeit als verrufen galten – z. B. als Geldwechsler und -verleiher. Im ältesten Görlitzer Stadtbuch aus den Jahren 1305 bis 1416 finden sich Einträge über Ansiedlungen jüdischer Menschen in der Stadt. Bereits um 1300 werden die Judengasse, eine Judenbadestube und ein Judenkirchhof erwähnt (vlg. Otto 1990, S. 7).Als um 1350 die Pest in der Stadt ausbrach, machte man die Juden für die Vergiftung der Brunnen verantwortlich. Infolge dessen wurde die jüdische Bevölkerung aus Görlitz vertrieben. Erst mehr als 30 Jahre später durften sich wieder Juden in der Stadt ansiedeln und Grundbesitz erwerben. Nur kurze Zeit später wurden sie erneut vertrieben unter dem Vorwand, „sie hätten ‚große Schäden und Verderbnisse’ angerichtet“ (Otto 1990, S. 7). Während der folgenden 450 Jahre durften sich Juden nicht in Görlitz niederlassen. Erst mit dem Einsetzten der Emanzipationsbestrebungen am Vorabend der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/1849 bekamen Juden schließlich am 23. Juli 1847 in Görlitz wieder Staatsbürgerechte verliehen, was zu einem Zustrom jüdischer Familien in die Stadt führte (vgl. Otto 1990, S. 8). Durch den raschen technischen Fortschritt und die boomende Konjunktur während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert konnten jüdische Bürger als Fabrikbesitzer in der Textil- und Eisenbranche starke Akzente setzen. Zu erwähnen wären an dieser Stelle bspw. die Strumpfwarenfabriken von Louis Cohn, die Wäschefabrik der Gebrüder Kunz sowie die Seiden- und Halbwollfabrik Müller & Kaufmann (vgl. Otto 1990, S. 9). Durch das Auftreten der Weltwirtschaftskrise von 1929 gingen Handel und Produktion in den meisten jüdischen Firmen in Görlitz beträchtlich zurück. Die Zahl jüdischer Einwohner ging von 567 (1925) auf 376 (1933) zurück. Trotz dieser Umstände wurden im Jahre 1933 noch mehr als 60 größtenteils kleiner und mittlere jüdischen Firmen in Görlitz registriert werden (vgl. Otto 1990, S. 10).
Besonders verdienstvoll traten jüdische Einrichtungen in der Landschaft der sozialen Einrichtungen in Görlitz auf.
„So wies das ‚Verzeichnis unter der Verwaltung des Magistrats der Stadt stehenden milden Stiftungen vom Jahre 1913’ 21 jüdische Stiftungen aus. Sie dienten u. a. Unbemittelten, körperlich erholungsbedürftigen Genesenden, 50 Armen in der Woche vor Weihnachten, fleißigen jüdischen Schülern, Abiturienten und Primanern des Gymnasiums, erholungsbedürftigen Kindern, Ferienkolonien, Wöchnerinnen, Fabrikarbeiterinnen, der Förderung des Gewerbefleißes und für Erholungsheime städtischer Beamter, Lehrer und Angestellter. Besonders tat sich dabei die wohlhabende Familie Alexander-Katz hervor“(ebd.).
Angesehene Ärzte, Rechtsanwälte und Händler waren Teil des Görlitzer Alltags und bereicherten das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben der Stadt. Mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Jahre 1933 änderte sich die Situation für sie. Viele jüdische Einwohner emigrierten in den folgenden Jahren – so sie die Möglichkeit dazu hatten – und konnten auf diese Weise ihr Leben retten. Denen, die geblieben sind wurde alles weggenommen, sie wurden ihrer Bürgerrechte beraubt und schließlich deportiert.
Die folgende Übersicht jüdischer Geschäfte und Einrichtungen in Görlitz verdeutlicht, wie stark jüdische Gewerbetreibende in der Geschäftswelt vertreten waren (vgl. Otto 1990, S. 89f).
* Die damalige Adolf-Hitler-Straße heißt heute Berliner Straße, der Hindenburgplatz ist der heutige Postplatz.