Jüdische Görlitzer Familien
Beispiel Familie Schaye
Die Schayes waren eine jüdische Familie, die eng mit Ruth Schlesinger und ihren Eltern befreundet waren. Sie wohnten damals auf der Salomonstraße 41 (damals Saarlandstraße) in einer Wohnung im 2. OG. Vater Hugo (geb. am 5. Sept. 1864) war Häute- und Fellhändler und betrieb in Rauschwalde zusammen mit seinem Sohn Robert (geb. 27. Sept. 1894) eine kleine Firma. Mutter Elsbeth Schaye, geb. Rubensohn (geb. 30. Nov. 1871) war entsprechend der damaligen Zeit „Ehe- und Hausfrau“. Neben Sohn Robert gab es noch die Tochter Katharina, genannt „Kate“ (geb. 15. Aug. 1899).Die Haushälterin der Familie Schaye, Anna Frenzel, wurde von allen als „Schayes Anna“ bezeichnet. Die Wohnung in der Salomonstraße 41 war immer eine gute Adresse, um sich zu treffen und gemeinsam die Freizeit zu gestalten. Ruth Pilz erinnert sich daran:
„Wir waren dann mit den Familien Prager, Kafka, Hiller sowie der Familie Schaye und ihrem Sohn Robert befreundet. Bei ihnen haben wir uns immer alle getroffen. Als wir unsere Radios abgeben mußten (Juden durften keine Radios besitzen, d. Verf.), kaufte sich Schayes Anna ein Radio und stellte es sich in die Küche. Es war Rosenmontag und wir trafen uns alle bei der Familie Schaye in der Küche. Dort hörten wir Radio. Am anderen Tag kam früh Frau Hiller sehr aufgeregt zu uns. Sie berichtete, man habe alle drei Schayes und auch die Anna verhaftet. Ein Mann im Haus mit Namen Schymanski habe sie angezeigt“(Otto 1990, s. 103).
Hugo Schaye hatte die Firma, die seit dem Jahr 1860 bestand, recht erfolgreich geführt. Seine Tochter bezifferte den Jahresumsatz vor Beginn der Judenverfolgung auf ca. 1 Mio. RM. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der einsetzenden Repression begannen auch die wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Letztendlich musste Hugo Schaye seine Firma im Jahre 1938 aufgeben. Im Zuge der „Arisierungen“ jüdischen Besitzes überging die Firma an die „Görlitzer Häute- und Fellhandelsgesellschaft Hartmann & Winkert“ mit Sitz am Stadtgraben 1 (vgl. Otto 1990, S. 96f). Das Grundstück mit dem Wohnhaus Salomonstraße 41 wurde der Familie Schaye schließlich weggenommen und ging in den Besitz des „Deutschen Reich“ über. In einem Verzeichnis über jüdische Grundstücke vom 28. November 1941 wird der Wert des Grundstückes mit 56.700 RM beziffert.
Hugo und Else Schaye wurden im Jahr 1941 in das Zwangsarbeitslager nach Tormersdorf verschleppt. Anna Frenzel, die ehemalige Haushälterin, brachte einige Male mit dem Fahrrad Essen zu den Schayes. Auf dem so genannten Judenweg bei Rothenburg, welcher an der Neiße entlang führte, wartete dann Hugo Schaye schon immer sehr hungrig auf sie. Die Eltern sollten nie mehr in Freiheit kommen. Ruth Pilz schreibt in ihrem Erinnerungsbericht dazu:
„Auch Hugo Schaye und seine Frau hatten die Papiere zur Auswanderung, da jedoch ihr Sohn Robert die Ausreise nicht bekam, machten sie davon keinen Gebrauch. Hugo Schaye und seine Frau kamen zum Transport in das KZ Theresienstadt. Er erreichte das Lager nicht, denn man hatte ihn unterwegs erschlagen, weil er zwei Anzüge (übereinander, d. Verf.) trug. Seine Frau ist in Theresienstadt umgekommen“(Otto 1990, S. 103). Beide gingen mit einem Transport am 27. Juli 1942 nach Theresienstadt. Die Todesdaten werden auf einer Sterbeurkunde für Hugo Schaye (fälschlicherweise) mit dem 26. Juli 1942 angegeben. Andere Dokumente benennen den 28. Juli 1942. Für Elsbeth Schaye wird der 3. Januar 1943 als Todestag angegeben. Siehe Urkunden
Die Tochter Katharina war die einzige der Familie, die die Zeit des Nationalsozialismus überlebte. Sie heiratete im Jahre 1921 den Antiquitätenhändler Hans Paul, mit dem sie ein Kind hatte. Hans Paul emigrierte 1929 nach Australien, sie folgte ihm ein Jahr später mit ihrer Tochter Eva-Marianne dorthin. Sie starb viele Jahre später in Adelaide, Australien, ohne je wieder in Deutschland gewesen zu sein. Mit Eva-Marianne gibt es heute noch Kontakte.
Sohn Robert Schaye besuchte in Görlitz das Gymnasium und die höhere Handelsschule, kämpfte im 1. Weltkrieg an der Ostfront und war zwischen 1915 und 1921 in Sibirien in Kriegsgefangenschaft. Nach seiner Rückkehr stieg er in das Geschäft seines Vaters mit ein. Mit Beginn der Judenverfolgung wurde er aber mehrmals verhaftet und u. a. im KZ Sachsenhausen inhaftiert. Nach seiner Entlassung musste er in Görlitz Zwangsarbeit leisten und ab 1941 den Judenstern tragen. Er wohnte eine Zeit lang zusammen mit anderen Görlitzer Juden in einem Haus auf der Victoriastraße. Schließlich wurde er deportiert und wurde am 1. August 1942 für tot erklärt. Er soll in Polen im Vernichtungslager Majdanek, unweit der Stadt Lublin ermordet worden sein (ebd.).
Lesen hier einen Bericht seiner Schwester Katharina Paul, geb. Schaye.
V.l.n.r. Else Schaye, Eva Paul, Hugo Schaye, Robert Schaye, Helene Paul, Max und Marie (Nachnamen unbekannt), um 1928/1929
Sterbeurkunde