Gliederung
- Schule/Lehre
- Eltern und Bruder
- 9. November 1938 – Pogrome gegen jüdische Geschäfte in Görlitz
- Inhaftierung des Vaters
- Repression gegen die Familie
- Solidarität und Unterstützung unter Görlitzer Familien
- Verhaftung
- Gefängnishaft in Görlitz
- Der Marsch der Gefangenen
- Flucht
- Verstecke
- 8. Mai 1945 – Tag der Befreiung in Görlitz
Solidarität und Unterstützung unter Görlitzer Familien
Die verschärfte Situation für die Görlitzer Juden führte zwischen einigen Familien zu einem Zusammenrücken und gegenseitiger Unterstützung. Die staatlichen Reglementierungen und Diskriminierungen führten oftmals in besondere Notsituationen, welche nur durch die Unterstützung Anderer ein wenig zu kompensieren waren. Diese Solidarität untereinander war sicher nicht exemplarische für weite Teile der Görlitzer Bevölkerung. Viele standen den noch hier lebenden Juden ablehnend bis gleichgültig gegenüber.Ruth Schlesinger und ihre Eltern waren mit einigen dieser Familien gut befreundet gewesen: Die Familie Schaye, die auf der Salomonstraße 41 (damals Saarlandstraße) im 2. OG wohnten. Ihr Sohn Robert betrieb in Rauschwalde einen Tierhäute- und Darmhandel. Die Familie Kafka, die einen Schuhwarenhandel auf der Steinstraße 1 betrieben. Die Familie Hiller, welche auf der Teichstraße4 19/20 einen Produktenhandel betrieben sowie die Familie Prager aus Reichenbach.
Im Jahre 1941 kam es zu einer Verhaftungswelle unter den Görlitzer Juden. Viele wurden in das Judenarbeitslager Tormersdorf bei Rothenburg gebracht, wo sie Zwangsarbeit leisten mussten. Viele der dort internierten Juden wurden in die Konzentrationslager deportiert und ermordet. Einige kamen zurück und wohnten eine Zeit lang im so genannten „Judenhaus“ auf der Victoriastraße (heute im Stadtgebiet östlich der Neiße). Einige Familien wurden durch die Nationalsozialisten aus ihren alten Wohnungen vertrieben, so z.B. die Familie des Rechtsanwalt Getzel, die Familie Abramowitz und Hiller sowie Robert Schaye (vgl. Otto 1990, S. 103).
Ruth erinnert sich:
„Familie Hiller kam von Tormersdorf zurück und wohnte dann auch in dem Haus in der Victoriastraße. Anna Frenzel (die Haushälterin der Familie Schaye, d. Verf.), meine Mutter und ich, haben diesen Menschen Lebensmittel gebracht. Spät abends gingen wir drei getrennt. Ich hatte die Aufgabe, bei Abramowitz zu klingeln. Die beiden anderen Frauen versteckten sich am Friedrichsplatz hinter Sträuchern. Getrennt gingen wir nach Hause. Wir haben einmal Federbetten transportiert. Ich glaube, sie waren für die Familie Hiller bestimmt. Da Frau Abramowitz ebenfalls nach 20.00 Uhr auf die Straße gehen durfte, kam sie immer zu diesem Treff.“(Otto 1990, S. 103)
An eine andere Begebenheit erinnert sie sich noch sehr gut:
„Ich musste mich auch einmal mit Robert Schaye treffen. Es war in der Gartenstraße bei der Versicherung (Hausnummer 14, d. Verf.). Ich habe gewartet bis Robert Schaye kam. Dann bin ich das Haus gegangen. Er folgte mir. Ich übergab ihm die Lebensmittel. Er hat dann schnell das Haus verlassen“(ebd.). Diese Aktionen waren zu damaliger Zeit nicht ungefährlich. Die Geheime Staatspolizei - kurz GESTAPO - hatte an vielen Stellen ihre Informanten und Beobachter. Leute bei der Polizei zu denunzieren war nicht unüblich und führte oftmals zu Hausdurchsuchungen und Verhaftungen.