Gliederung
- Schule/Lehre
- Eltern und Bruder
- 9. November 1938 – Pogrome gegen jüdische Geschäfte in Görlitz
- Inhaftierung des Vaters
- Repression gegen die Familie
- Solidarität und Unterstützung unter Görlitzer Familien
- Verhaftung
- Gefängnishaft in Görlitz
- Der Marsch der Gefangenen
- Flucht
- Verstecke
- 8. Mai 1945 – Tag der Befreiung in Görlitz
Verhaftung
Ruth Schlesinger hielt sich gelegentlich mit weiteren Freunden und Bekannten bei der Familie Bornschein auf, die damals auf der Kunnerwitzer Straße 23 wohnten. Rudolf Bornschein betrieb dort ein Schmuck- und Uhrengeschäft. Seine Frau Regine war Jüdin. Ruth war vor allem mit der Tochter Ingeborg befreundet, die in etwa gleich alt war. Die Bornscheins hatten sie adoptiert, als Ingeborg noch ein Baby war. In der Wohnung der Familie Bornschein, welche sich hinter dem Geschäft im Erdgeschoß befand, gab es die Möglichkeit, ausländische Radiosender zu empfangen und zu hören. Da zu dieser Zeit Juden schon lange keine Radios mehr besitzen durften und in Deutschland lediglich propagandistisch gefärbte Sender berichteten, war das Angebot an Alternativen sehr begrenzt. In Görlitz waren jedoch auch russische und britische Sender wie z. B. BBC zu empfangen. BBC sendete deutschsprachige Nachrichten, welche das Kriegsgeschehen und andere Nachrichten ungefärbt wiedergaben. In der Wohnung Bornscheins wurde dieser Sender gehört.Außer der Familie Bornschein waren noch anwesend: Ruth Schlesinger, Willi und Gertrud Jacob, Arthur Trabs („Brillen-Trabs“) sowie ein Tscheche und ein Bulgare. Wie die ganze Sache genau aufflog, weiß Ruth heute nicht mehr. Sie kann sich dunkel erinnern, dass wohl der Bulgare die Sache herum erzählt hatte und die GESTAPO davon hörte. Diese verhörte schließlich Rudolf Bornschein und drohte ihm, man würde seine jüdische Frau ins KZ schaffen, wenn er nicht die Namen aller Beteiligten nenne. So verriet er alle die Radio gehört hatten, um seine Frau Regine vor der Deportation ins KZ zu retten. Er ist den leeren Versprechungen der GESTAPO auf den Leim gegangen, die seine Gutgläubigkeit ausnutzen, um die Namen der anderen zu erfahren. So kam es, dass Ruth Schlesinger, ihr Bruder Günther und das Ehepaar Willi und Gertrud Jacob von der GESTAPO verhaftet wurden. Regine Bornschein und Willi Jacob wurden später ins KZ Auschwitz-Birkenau deportiert und dort Ende 1944 umgebracht. Ruth glaubt, dass sie ohne eine Registrierung sofort in die Gaskammer geschickt wurden. Es existieren keine Aufzeichnungen über das Schicksal der beiden.
Ruth wurde am 7. Juli 1944 in einem Textilgeschäft an der Brüderstraße (heute „Schwibbogen“), in dem sie zu dieser Zeit arbeitete, von der GESTAPO verhaftet. Vorgeworfen wurde ihr die „Weiterverbreitung antifaschistischer Nachrichten“ sowie das „Hören von Feindsendern“. Sie wurde zur Dienststelle der GESTAPO auf der Augustastraße 31 gebracht, wo man sie verhörte. Im Görlitzer Adressbuch aus den Jahren 1941/1942 ist unter dieser Adresse die Außenstelle der Staatspolizeistelle Liegnitz vermerkt. Die Diensträume befanden sich im 1. OG und umfassten auch das Nebengebäude. Von hier aus wurde sie anschließend in das Gefängnis am Postplatz zur Untersuchungshaft (oder auch „Schutzhaft“) überführt (vgl. Otto 1990, S. 104).